Warum es Sinn macht, sich für jedes weggeworfene Bonbonpapier zu bücken

Diejenigen von Euch, die schon mal bei einer Dreck Weg Aktion von uns dabei waren oder die Kommentare im Nachhinein auf Social Media gelesen haben, kennen diese Worte: “Morgen sieht es wieder genauso aus wie vorher” oder “das lohnt sich nicht!” oder “Wieso soll ich den Müll von anderen Leuten wegräumen?”.

Solche Sätze bekommen wir  bei unseren Dreck Weg Aktionen so oder so ähnlich, neben sehr viel lobenden, anerkennenden und dankbaren Worten, immer wieder gesagt. Was ich vor allem aus diesen Worten raushöre, ist der Frust, dass Rheinhausen so vermüllt ist. Und obwohl unsere Dreck-Weg-Aktionen mittlerweile wirklich viel Spaß machen und auf so viel positive Resonanz stoßen, sind diese Sätze demotivierend.

Die Anerkennung für das, was wir tun, bleibt bei diesen Rheinhauser*innen aus. Neben ganz viel Begeisterung und Zufriedenheit macht sich dann tief in mir auch wieder Frust breit. Ein Frust, den wir glaube ich alle kennen und auch alle gemeinsam haben. Wir sind enttäuscht darüber, dass unser Rheinhausen so vermüllt wird und fühlen uns hilflos bei der Frage, wie dies zukünftig nachhaltig verändert werden kann. Genau dieser Frage haben wir uns vor 3 Jahren bei Du bist Rheinhausen auch gestellt. Und unsere Antwort darauf war und  ist:

“Sollte – Könnte – Müsste – Hätte – MACHEN!”

Unsere Dreck-Weg-Mach-Tage waren geboren! Der Frust, den wir alle spüren, führt oft und in erster Linie zu den üblichen Schuldzuweisungen. Uns geht es aber nicht um Schuldzuweisungen, denn es wurde und wird genug Energie darauf verschwendet. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, kommen wir damit nicht weiter, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen und die Schuldigen zu suchen, denen wir dann die Verantwortung zuschieben können, wofür wir doch letztlich alle die Verantwortung tragen.

Die Schuldigen werden gesehen in den Schülern, Rauchern, Hundebesitzern, McDonalds Liebhabern, den Wirtschaftsbetrieben, der Stadt Duisburg, dem Bürgermeister und und und… Die Liste ist lang. Aber geht es hier wirklich um Schuld? Wir finden nicht! Uns geht es bei  Du bist Rheinhausen um Verantwortung! Wer ist bereit, Verantwortung für Rheinhausen zu übernehmen?

Dem ein oder anderen kommt es vielleicht wie Sisyphus Arbeit vor, die Straße vom Müll zu befreien. Aber das ist es nicht, wenn das Ziel ist, in die Eigenverantwortung zu kommen und gemeinsam mit vielen anderen Mitstreiter*innen bei Du bist Rheinhausen das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit hinter sich zu lassen und gemeinsam etwas zu verändern. Es gibt dazu eine sehr schöne Geschichte, die ich an dieser Stelle erzählen möchte.

Es war einmal ein alter Mann, der jeden Morgen einen Spaziergang am Meeresstrand machte. Eines Tages sah er einen kleinen Jungen, der vorsichtig etwas aufhob und ins Meer warf.

Er rief: „Guten Morgen. Was machst du da?”

Der Junge richtete sich auf und antwortete: „Ich werfe Seesterne ins Meer zurück. Es ist Ebbe, und die Sonne brennt herunter. Wenn ich es nicht tue, dann sterben sie.”

„Aber, junger Mann”, erwiderte der Alte, „ist dir eigentlich klar, dass hier Kilometer um Kilometer Strand ist. Und überall liegen Seesterne. Du kannst unmöglich alle retten, das macht doch keinen Sinn.”

Der Junge hörte höflich zu, bückte sich, nahm einen Seestern auf und warf ihn lächelnd ins Meer:

„Aber für diesen Einen macht es Sinn!”

 

Und so wie mit den Seesternen ist es doch auch irgendwie mit dem Müll. Jeder Strohhalm, jedes Durstlöscher Päckchen, jeder Zigarettenstummel, der nicht mehr in der Natur und auf den Straßen rumfliegt, macht doch einen Unterschied! Genial wäre natürlich, wenn sie gar nicht erst auf der Straße landen würden. Aber bis es soweit ist, ist jeder Strohhalm, jede Bierdose, jedes Bonbon Papier, jeder Trinkbecher eine riesen Motivation, für ein sauberes Rheinhausen immer wieder von Neuem an den Start zu gehen.

Wie toll wäre es bitte, wenn wir in 5, 6 oder 7  Jahren in den Zeitungen des Ruhrgebiets lesen können, dass Rheinhausen sich erneut einen Namen gemacht hat, weil die Rheinhauser*innen wieder Seite an Seite stehen und gemeinsam für ein sauberes Rheinhausen und damit vor allem für ihre Heimat losgehen? Rheinhausen steht dafür Solidarität zu zeigen, woran uns unsere Rheinbrücke für immer erinnert.

Unser Du bist Rheinhausen Dreck-Weg Tage finden regelmäßig statt. Die Orte wechseln aber die folgende Termine kannst du dir vormerken: 

  • 14. Mai 2022, Treffen ist um 10 Uhr am Körnerplatz 1 
  • 16. Juli 2022
  • 10. September 2022 (Rhine Clean Up)
  • 12. November 2022

Melde dich am besten für unsere Email-Updates an, um keinen Termin zu verpassen. 

Aftwer Work Dreck Weg Aktion 20. April 2022

Eine gelungene After Work Dreck Weg Aktion

Die Bilder sprechen für sich

Anders als sonst, haben wir uns am Mittwoch, den 20. April 2022 einfach mal zu einer Dreck Weg Aktion nach Feierabend an unserem Rhein in Rheinhausen getroffen. Hier gibt es einfach immer etwas zu tun und wir konnten das Schöne mit dem Nützlichen verbinden. Nach getaner Arbeit und gefühlten 50 Müllsäcken später wurden wir auf dem Gelände vom Ruderclub Borussia Rheinhausen e.V. mit Chillout Musik vom DJ Pult und einem leckeren, gekühlten Bier in der Abendsonne belohnt. Das hat sehr viel Spaß gemacht! Vielen lieben Dank an den Ruderclub, dass wir hier sein durften. Im September sehen wir uns zum Rhine Clean Up wieder!

Rheinhausen für den Frieden

Rheinhausen, es war ein ganz besonderer Abend! 💜💙💚💛🧡❤️

Vielen lieben Dank an alle Rheinhauser*innen, die gekommen sind und dem Wunsch nach Frieden in der Welt Ihr Gesicht gegeben haben 🙏

Vielen lieben Dank an Melanie Zink, mit der wir uns gemeinsam in die fantastische Vorstellung von John Lennon gesungen haben, wie es wäre, wirklich in Frieden in der Welt zu leben. „Imagine all the people livin life in peace…“🙏

Vielen lieben Dank an unsere Helferinnen und Helfer, aber auch an die Polizei Duisburg, die uns dabei unterstützt haben, dass diese Versammlung mit Euch so friedlich stattgefunden hat 🙏

Dreck Weg Tag am 19. März 2022

„Auf der Rosastrasse rutscht man auf dem Müll fast aus“

Am Samstag, den 19. März haben sich die Waste Worriors am Bertha von Suttner Platz getroffen. Wir sind damit einem Vorschlag von Chantal gefolgt, die in einer Nachricht an uns schrieb: „…Am schlimmsten sieht es rund um die Margarethenstrasse aus. Dort wurden die Büsche entfernt und der Dreck einfach liegen gelassen. Auf der Rosastrasse rutscht man auf dem Müll fast aus… auch in dem kleinen Park direkt an der Brücke ist alles voller Müll. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir dort mal eine richtige Aufräum Aktion starten…“ 

Der Bitte von Chantal sind wir gerne nachgekommen und sind rund um den Bertha von Suttner Platz in alle Richtungen ausgeströmt. Das Ergebnis unserer Aktion seht Ihr auf den Bildern. Dieses Mal haben wir uns sehr darüber gefreut, dass uns Schülerinnen vom Krupp Gymnasium bei der Aktion unterstzütz haben.

Immer wieder werden wir auch von Rheinhauser*innen angesprochen, die sich für unseren Einsatz bedanken. Ein Anwohner meinte „Hätte ich das gewusst, hätte ich doch mitgeholfen!“ Viele von Euch haben das Problem „Müll vor der Haustür“ und fühlen sich damit überfordert. Es ist einfach viel motivierender gemeinsam ans Werk zu gehen, als als Einzelkämpfer*in loszuziehen. Wir empfehlen: Abboniert unseren Newsletter hier über unsere Homepage, damit Ihr die nächste Dreck Weg Aktion nicht verpasst und schließt Euch beim nächsten Mal doch einfach an 😉

Dreck Weg Aktion 5. Februar 2022

Zur ersten Dreck-Weg-Aktion diesen Jahres traten bei schönstem Wetter um 10 Uhr ca.40 große und kleine Müllsammler an. Fazit schon direkt zu Beginn: Es war großartig 😊♻️☀💪

Rasend schnell wurden die Straßenränder, Gebüsche und Parkplätze entlang in den Peschen und rund um Volkspark, den Rückseiten der beiden Schulen Heinrich-Heine-Gesamtschule und Krupp Gymnasium sowie der Sportvereine OSC und VfL gesäubert. Neben den immer gleichen Fundstücken wie Zigarettenstummeln, Trinkpäckchen und Mund-Nase-Bedeckungen fanden sich auch wieder einige Kuriositäten. Ein Koffer, ein Zelt und Fußballschuhe wären sicherlich auch gute Ausstellungsstücke für ein Müllmuseum á la k.r.a.k.e.cgn 🙌

Ganz besonders haben wir uns neben wunderbar zuverlässigen Müllsammlern, die uns schon seit mehreren Dreck-Weg-Aktionen begleiten, über einige neue Gesichter gefreut. Unter anderem haben eine Gruppe Schüler sowie Vertreter der Lehrer und auch der Rektor der Heinrich-Heine-Gesamtschule fleißig die Müllzangen geschwungen🤩.🥳 Zum Ende der Aktion gegen 12 Uhr konnten wir den Wirtschaftsbetrieben, die wie immer den zuverlässigen Abtransport des gesammelten Mülls übernahmen, einen beachtlichen Berg an gefüllten Müllsäcken bereitstellen. Einerseits befriedigend, andererseits wieder mal sehr erschreckend, wie viel doch zusammen kommt.🤓

Das war der Rhine Clean up 2021

Rhine Cleanup 2021 💚🌊🌎💪

Es war auch dieses Jahr wieder ein voller Erfolg! Wir sind super happy und sagen ein riesen großes Dankeschön, an die Offensive für ein Sauberes Duisburg und den Wassersportverein Rheinhausen für die gelungene Aktion! Und natürlich ein noch viel größeres DANKESCHÖN an alle fleißigen Helferinnen und Helfer. Besonders die Kleinen waren wieder ganz groß! ❤️DANKE❤️ Das Wetter hat auch dieses Jahr wieder hervorragend mitgestpielt. Aber Bilder, sagen mehr als 1000 Worte. Seht selbst 😉 Wir freuen uns aufs nächste Jahr!

Geschichtenretterin Ingrid Oehmig

Kleine Erinnerungen von Ingrid Oehmig:

Ich bin in einer waschechten kruppianer Familie aufgewachsen. Mein Uropa Jacob Klewen fing bei den Hüttenwerken an, als diese gebaut wurden. Wenn ich mich recht entsinne war er Arbeiter im Hochofenbereich.

Später fing mein Opa Franz Klewen, ebenfalls Hochofen (Instandhaltung), im Werk an und ca. 1960 mein Vater Wilhelm Klewen, der für die Instandhaltung Stahlwerk zuständig war.

Wilhelm Klewen zu seiner Pensionierung

Für meinen Opa war es 1975 eine bittere Pille, dass mein Bruder lieber Biologie studieren wollte, statt einen Handwerksberuf bei Krupp zu erlernen. Etwas besänftigt war er, als ich die Familientradition fortsetzte und als erste weibliche Auszubildende als Industriekaufmann im August 1976 begann.

Es war eine wirklich schöne Zeit: 14 Tage Übergangsschulung. in der Wevelsburg mit ca 140 angehenden Azubis, davon 14 Mädchen (Bürogehilfinnen, Technische Zeichnerinnen und Laborantinnen). Wir Mädchen wurden tatsächlich nachts auf unserem Flur eingesperrt, damit wir uns nicht zu den Jungs schleichen konnten. Selbst die Taschenlampen, mit denen wir uns durch die Fenster zugemorst haben, wurden uns abgenommen. Heute alles undenkbar, aber für uns damals völlig normal. Morgens um 7 stand Frühsport im Burghof auf dem Programm. Leider hat unsere „Aufpasserin“ häufig verschlafen und wir kamen dann natürlich nicht raus.

Im 3. Lehrjahr stand eine sozialpolitische Schulung auf dem Plan. Dort kamen dann nur die Industriekaufleute und Bürogehilfinnen zusammen. Schlafsaal der Jungs war unten, die Zimmer der Mädchen im 1. Stock. An der Tür nach oben saßen die Betreuer und passten wieder auf, dass niemand nach oben schlich. Später, bei unserer Lossprechung, erwähnte der Ausbildungsleiter, dass man die Feuerleiter an der Jungendherberge abgebaut hätte.

Die Ausbildung selber war entspannt: Blockunterricht in der Berufsschule, Werkunterricht 1x pro Woche im Ausbildungsgebäude mit einem Lehrer, der sehr gewöhnungsbedürftig war. Die Jungs hatten ganz schön unter ihm zu leiden. Mich, als einziges Mädchen hat er erst gar nicht ernst genommen und mich im Prinzip missachtet.

Die einzelnen Ausbildungsabteilungen waren recht unterschiedlich. In den Meisten bekam man als Azubi keine gescheiten Aufgaben, in manchen konnte man richtig gut mitarbeiten. Die 1. Abteilung war das Reserveteillager. Von dort musste ich tatsächlich 15 Minuten laufen, bis ich an der nächsten Damentoilette war

Nach der Ausbildung kam ich in die Abteilung „Entgeltfindung“. Wahnsinn…. Alles ohne EDV-Unterstützung. Für jeden Lohnempfänger gab es eine Karteikarte mit allen persönlichen Daten.

Der erst Arbeitsplatz nach der Ausbildung

Bei Tariflohnerhöhungen musste jede einzelne Karte mit den neuesten Daten (mind. 5 Einträge pro Karte) handschriftlich geändert werden. Mein erster Chef dort war klasse, der Nachfolger war ein gestandener „Friemersheimer Grafschafter“ der Frauen am Arbeitsplatz außer in der Küche nicht mochte. Sein bester Spruch auf einen Verbesserungsvorschlag von mir: „Frl. Klewen, sie sind hier zum Arbeiten und nicht zum Denken!“

Das war der Zeitpunkt für mich in die EDV-Abteilung zu wechseln. Damals noch mit einer alten Siemens Anlage, Lochkarten, Bändern und irgendwas mit Gigabyte Speicherkapazität. Ich bin dabei geblieben, habe später noch Wirtschaftsinformatik studiert und arbeite heute noch bei HKM in der Informationstechnik.

Ein Schreibtisch in den 80gern ohne PC

Zu HKM musste ich im Zuge der Schließung von Krupp Rheinhausen 1990 wechseln. Eigentlich hatte ich noch Glück, dass es „nur Huckingen“ und nicht Bochum oder Dortmund war. Für mich war es besonders gut, da ich sofort auf eine reduzierte Stundenzahl gehen konnte, was mir mit einem kleinen Kind besonders lieb war. Bei Krupp wurden alle Halbtagsstellen irgendwann abgeschafft. Die Anfahrt kam mir allerdings wie eine Weltreise vor, nachdem ich alles in Rheinhausen mit dem Fahrrad erreichen konnte.

Obwohl ich nun viele Jahre mehr bei HKM arbeite (im August habe ich mein 45 jähriges Dienstjubiläum), als zuvor beim Hüttenwerk Krupp Rheinhausen, fühle ich mich immer noch nicht mit dem Werk verbunden. Auch wenn der Slogan „Wir bei HKM“ ein familiäres Zusammengehörigkeitsgefühlt suggerieren soll, so bleibt es, zumindest für mich, nur ein Stück Papier ohne Inhalt.

Der neue Schreibtisch bei HKM

Da fällt mir noch eine kleine Anekdote ein:

Früher gab es für Männer, die geheiratet hatten ein Hausstandsgeld in Höhe von 7,50 DM/Mt. Ich habe dann einen Antrag gestellt, dass ich das auch haben möchte. Wurde abgelehnt und kurze Zeit später auch für die Männer abgeschafft. (das wollte ich allerdings nicht damit erreichen.)

Ingrid Lenders

Als ich am 03. Januar 1951 in Freiberg zu Sachsen geboren wurde, herrschte tiefster Winter. Es war so kalt, dass ich aus Protest lauthals losschrie. Und obwohl meine Mutter ihrer katholischen Schwiegermutter geschworen hatte mich katholisch taufen zu lassen, war sie nun der Meinung: „Wer so laut schreit, der muss „Protestantisch“ werden. Und protestiert habe ich im Laufe meines Lebens heftig.

Ich bin schon als Kleinkind gerne gereist. Mit 2 Jahren nahm ich den wöchentlichen Pendelverkehr zu meinen Großeltern nach Schneeberg in Kauf. Somit war ich für meinen späteren beruflichen Lebensweg bestens vorbereitet. Als stramme 2-Jährige, die mit beiden Beinchen fest auf der Erde steht, präsentiere ich mich hier mit meiner berühmten Hahnenkammrolle, die der Nachwelt unbedingt erhalten bleiben muss!

Nachdem der konfessionelle Kindergarten in Freiberg geschlossen wurde und der real existierende Sozialismus immer mehr in den Vordergrund drängte (der mich zu diesem Zeitraum aber noch recht wenig störte), verschlug es mich 1957 in den „Goldenen Westen“. Neben Heimat- und Familienverlust musste ich nun auch noch den Verlust meiner „tollen Rolle“ hinnehmen und entwickelte mich zu einem „echten Westdeutschen“ Mädchen! Meine 8-jährige Schulzeit in der evangelischen Volksschule zu Kaldenhausen brachte ich mit Bravour hinter mich, und sie endete mit meiner Konfirmation.

Als älteste Tochter einer kinderreichen Familie war es mir leider nicht vergönnt einen anderen Berufsweg einzuschlagen, und so erlernte ich den Beruf der technischen Zeichnerin, der sich später aber hin zum bürokratischen entwickelte und ich später einen Schreibtischjob an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (heute HSPV NRW) in Duisburg-Großenbaum hatte, der mir sehr viel Spaß machte.

Nach meiner Heirat und der Geburt meiner Tochter schlief das Hobby Schreiben ein wenig ein und wurde erst durch den Arbeitskampf 1987 um das Krupp-Hüttenwerk wieder aktiviert. Die Anthologie „Der Hochofen vor unserem Fenster“ war nach meiner ersten Veröffentlichung einer Kindergeschichte im Jahr 1964 in der WAZ der Durchbruch zu einer neuen Schreibära, der andere Bücher und Veröffentlichungen sowie viele Lesungen folgten.

Wenn ich heute zurückblicke, sehe ich Kaleidoskop ähnlich die Stationen meines Lebens: Leichte und weniger leichte Jahre. Jahre, geprägt von Menschen, deren Wege sich mit den meinen kreuzten. Den wir gemeinsam ein Stück gingen, uns wieder trennten und die dazu beitrugen, dass ich der Mensch bin, der ich heute bin.

Am stärksten prägte mich aber der Arbeitskampf um das Krupp-Hüttenwerk 1987 / 1988. 160 Tage und Nächte kämpften wir vehement um den Erhalt der Arbeitsplätze. Ich gehörte zu den ersten Frauen, die sich am 03. Dezember 1987 in der Krupp’schen Menage in die Liste eintrugen, um in der Fraueninitiative diesen Arbeitskampf zu unterstützen. Wir Frauen wollten an der Seite der Männer mitkämpfen, wir wollten den Männern Halt, Kraft und Mut geben, um durchzuhalten.

Das beeindruckendste Erlebnis war der Walzwerksgottesdienst in der großen Werkshalle. 25.000 Menschen kamen zusammen und feierten den „Brot und Rosen“ Gottesdienst. Vorher gab es den gewaltigen Fackelzug durch Rheinhausen. Diese Bilder werde ich nie vergessen. Meine Rose von damals habe ich noch. Sie ist in einem Bilderrahmen und hängt an der Wand im Flur.
In diesem Arbeitskampf wurde ich erst richtig erwachsen.

Nachdem der Kampf im Mai 1988 leider verloren war, und wir lediglich eine 5 Jahres- Frist erhielten, gründeten wir den Verein „Leben und Arbeiten in Rheinhausen“, um die Kräfte, die wir entwickelt hatten, nicht im Sande verlaufen zu lassen. Im Gegenteil, wir bündelten unsere Kräfte und waren weiter für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt da. Ich war in der Frauengruppe aktiv, gründete eine Mutter-Kind-Gruppe, schrieb an der vereinseigenen „Zeitung“ mit. Sogar im Chor Tor 1 ließ ich zeitweise meine Stimme erschallen. Die letzten Jahre agierte ich als 2. Vorsitzende und war die Ansprechpartnerin der gegründeten Geschichtswerkstatt, die die Geschichte „von unten“ der Kruppianer und der Zwangsarbeiter aufarbeitete.

Mit meinem Kollegen Peter Flore (Fotos) dokumentierte ich (Texte) in einem Bildband den Arbeitskampf, der uns einen Anerkennungspreis des Wettbewerbs Industriegeschichte an Emscher und Ruhr einbrachte.


Nachdem viele Jahre vergangen und der Arbeitskampf auch der Verein Vergangenheit waren, versuchte ich mit meinem Kollegen Jürgen Tholl in Zusammenarbeit mit der VHS Arbeitsstelle Duisburg-West die Geschichte der Nachwelt zu erhalten und den Jüngeren näher zu bringen. Wir machten Fotoausstellungen in der Bibliothek, Lesungen, hielten Vorträge über die Krupp Siedlung, der Margarethensiedlung, die Denkmalbereich ist. Doch Corona stoppe unsere ganzen Bemühungen.

Inzwischen bin ich 70 Jahre alt, noch immer voller Ideen, voller Pläne. Für mein Engagement für unsere Stadt und für den kulturellen Bereich wurde mir der „Rheinland Taler“ verliehen, und auch die Ehrenplakette der Stadt Duisburg. Auch erhielt ich mehrere Karnevalsorden. Der Freundeskreis lebendige Grafschaft verlieh mir den „Friemersheimer Hahn“. Über alle Auszeichnungen habe ich mich sehr gefreut. Das zeigt, dass bürgerliches Engagement gesehen und gewürdigt wird. Nun beginnt ein neues Projekt: Geschichtenretter. Ich freue mich sehr, dabei zu sein.

Wir sehen uns, bleiben Sie gesund.

 

Geschichtenretter Kurt Unger

Herr Kurt Unger hat 1965 bei KRUPP Stahl- und Maschinenbau (später KRUPP Industrietechnik) in der Abteilung Wasserbau (später Fördertechnik) als Konstrukteur angefangen zu arbeiten. Als Konstrukteur war er im weitesten Sinne in der Stahlverarbeitung tätig. Die Erstellung von rechnerischen und zeichnerischen Unterlagen für die Herstellung von Anlagen gehört zu seinen täglichen Aufgaben. Bei Krupp in Rheinhausen waren das im Allgemeinen Hochbauten, Brücken, Schleusen für die Schifffahrt, Riesenbagger für den Braunkohleabbau, riesige Spiegelantennen, Verseilmaschinen und im ganz persönlichen Falle von Herrn Unger, bühnentechnische Einrichtungen und vieles andere mehr.

Für die Ausstellung überlässt Herr Unger uns als Dauerleihgabe Gegenstände die vor der Digitalisierung einen großen Nutzen in seinem Arbeitsalltag für statische Berechnungen hatten. Im Bild oben seht Ihr eine manuell betriebene Rechenmaschine Bauart Brunsviga (rechts), einen Rechenschieber (links), einen Addiator (mitte), einen Sharp-Taschenrechner mit wissenschaftlichen Funktionen (unten) und ein Tabellenbuch von F.G. Gauß. 1990 erhielt Herr Unger die silberne Ehrennadel für die 25-jährige Betriebszugehörigkeit. Dazu gabs auch noch eine Krawatte mit den Kruppringen drauf, die nicht wirklich von ihm getragen aber in allen Ehren gehalten wurde. 1992, 2 Jahre später, wurde er entlassen.

“Bei meiner Entlassung 1992 wurden von der kruppschen Personalabteilung gesundheitliche Gründe angegeben. Die Vertrauensärztin auf dem Arbeitsamt (heute Jobcenter) wollte von mir die gesundheitlichen Gründe erfahren. Da konnte ich lediglich auf mein Sportabzeichen verweisen”.

Geschichtenretterin Ingrid Lenders

Heute 70 Jahre alt, kam Ingrid Lenders mit 6 Jahren gemeinsam mit ihren Eltern aus Freiberg zu Sachsen nach Rumeln-Kaldenhausen und wuchs hier bei uns im Westen als ältestes von sieben Kindern bei ihrer Familie auf. Nach dem Besuch der evangelischen Volksschule zu Kaldenhausen, ihrer Konfirmation und einer Ausbildung zur technischen Zeichnerin, hat sie die letzten Jahre ihrer Berufstätigkeit an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (heute HSPV NRW) in Duisburg-Großenbaum gearbeitet. Während des Arbeitskampfes war Ingrid Lenders Mutter einer Tochter und Tagespflegemutter und arbeitete an 3 Tagen in der Woche abends in einem Großhandel.

1973 lernte sie ihren Mann kennen, einen Kruppianer, den sie sehr schnell, nämlich schon im April 1974 heiratete. Obwohl…  Frau Lenders erzählte uns, dass man damals eigentlich nur die Arbeiter, die in der eigentlichen Stahlproduktion und über Jahre hinweg in der gleichen Schicht gearbeitet haben, Kruppianer nannte. Ihr Mann hat eine vierjährige Ausbildung zum Werkstoffprüfer bei Krupp gemacht und gehörte somit nicht zu den Arbeitern in der Produktion. Bis er am 19. Mai 1988 sein Versetzungsschreiben nach Bochum erhielt (welches das Datum 16. Mai 1988 trug), hat er in der Versuchsanstalt von Krupp Rheinhausen gearbeitet. Aus unserer Sicht heute, würden wir ihn dennoch einen Kruppianer nennen. 

“Am stärksten prägte mich der Arbeitskampf um das Krupp-Hüttenwerk 1987 / 1988. 160 Tage und Nächte kämpften wir vehement um den Erhalt der Arbeitsplätze. Ich gehörte zu den ersten Frauen, die sich am 03. Dezember 1987 in der Krupp’schen Menage (die Kantine von Krupp) in die Liste eingetragen haben, um in der Fraueninitiative diesen Arbeitskampf zu unterstützen. Wir Frauen wollten an der Seite der Männer mitkämpfen, wir wollten den Männern Halt, Kraft und Mut geben, um durchzuhalten. Das beeindruckendste Erlebnis war der Walzwerksgottesdienst in der großen Werkshalle. 25.000 Menschen kamen zusammen und feierten den „Brot und Rosen“ Gottesdienst. Vorher gab es den gewaltigen Fackelzug durch Rheinhausen. Diese Bilder werde ich nie vergessen.”

Dieser Gottesdienst ist Ingrid Lenders ganz besonders in Erinnerung geblieben, unter anderem auch weil Norbert Blüm, der damalige Arbeitsminister, plötzlich dort in der Werkshalle erschien und mit Pfiffen und empörten Zwischenrufen empfangen wurde. Die Kruppianer waren sehr aufgebracht und die Situation drohte zu eskalieren, erinnert sich Frau Lenders. In diesem Moment hat die Musikerin Fasia Jansen, die die Fraueninitiative während des Arbeitskampfes musikalisch unterstützte und auch den Gottesdienst entsprechend musikalisch begleitete, angefangen eines ihrer Lieder anzustimmen, erzählt sie. Die Frauen der Initiative stimmten ein und nach und nach auch die Männer und gemeinsam sangen alle:

Keiner schiebt uns weg!

Keiner,ja keiner schiebt uns weg.
Keiner, ja keiner schiebt uns weg.
So, wie ein Baum beständig steht im Wasser.
Keiner schiebt uns weg.

Die Hütte bleibt bestehen.
Keiner schiebt uns weg.
Der Cromme, der muß gehen.
Keiner schiebt uns weg.
Die Solidarität geht immer weiter.
Keiner schiebt uns weg.

Denk Norbert an die Wahlen.
Keiner schiebt uns weg.
Der Bund der muss bezahlen.
Keiner schiebt uns weg.
Die Solidarität geht immer weiter.
Keiner schiebt uns weg.

Wir sind die Hüttenfrauen.
Keiner schiebt uns weg.
Auf uns da könnt ihr bauen.
Keiner schiebt uns weg.
Die Solidarität geht immer weiter.
Keiner schiebt uns weg.

Auf Youtube haben wir eine Version dieses besonderen Liedes gefunden, die Euch einen Eindruck gibt, wie sich das damals angehört hat: https://www.youtube.com/watch?v=zjbI3iBaP5E

So gelang es den Frauen, die Wogen wieder zu glätten erzählt uns Frau Lenders.

“Meine Rose von damals habe ich noch. Sie ist in einem Bilderrahmen und hängt an der Wand im Flur.”

Dieses Lied, das damals angestimmt wurde, um die Situation zu deeskalieren, hat den gesamten Arbeitskampf begleitet und es wurden, je nach Aktionen der Kruppianer und Reaktionen aus der Geschäftsführung oder der Politik von den Frauen aus der Fraueninitiative um weitere Strophen ergänzt. Die Initiative traf sich jeden Dienstag in der Menage. Es gab einen Kern von ca. 50 Frauen, die gemeinsam ganz gezielt weitere Aktionen geplante haben. Im Gegensatz zu den Männern, die manchmal einfach drauf losgezogen sind, sind die Frauen etwas strategischer und gezielter in der Planung ihrer Aktionen vorgegangen, berichtet uns Frau Lenders.

Frau Lenders wohnt heute noch, seit mittlerweile 35 Jahren mit ihrem Mann in der Margarethen Siedlung, die einst Friedrich Krupp für seine Arbeiter erbauen ließ. Für sie ist die Margarethensiedlung das Herzstück von Rheinhausen Hochemmerich. Die Siedlung wurde nach englischem Vorbild mit Gartenstadt-Charakter in 5 Bauabschnitten erbaut. Die Margarethensiedlung steht exemplarisch für Vieles, das Friedrich Krupp für seine Arbeiter in Rheinhausen erschaffen hat. Da gab es beispielsweise einen Betriebsarzt oder einen Friseur auf dem Firmengelände. Lebensmittel kaufte man in Rheinhausen im “Konsum”. Badehäuser, Waschhäuser und das “Bertha Krankenhaus” wurden von Friedrich Krupp für seine Arbeiter errichtet. Wenn Frau Lenders in ihrem Haus aus dem Fenster schaute, hatte sie einen direkten Blick auf den Hochofen.

“Als der Hochofen gesprengt wurde, wurden die Kruppianer mitten ins Herzen getroffen.“

 

Am 01.05.2021 wurde auf WDR5 ein Interview mit Ingrid Lenders veröffentlicht, das wir Euch nur empfehlen können, wenn Ihr Frau Lenders persönlich erzählen hören möchtet:

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-erlebte-geschichten/audio-ingrid-lenders-fraueninitiative-rheinhausen-100.html