Kleine Erinnerungen von Ingrid Oehmig:
Ich bin in einer waschechten kruppianer Familie aufgewachsen. Mein Uropa Jacob Klewen fing bei den Hüttenwerken an, als diese gebaut wurden. Wenn ich mich recht entsinne war er Arbeiter im Hochofenbereich.
Später fing mein Opa Franz Klewen, ebenfalls Hochofen (Instandhaltung), im Werk an und ca. 1960 mein Vater Wilhelm Klewen, der für die Instandhaltung Stahlwerk zuständig war.
Für meinen Opa war es 1975 eine bittere Pille, dass mein Bruder lieber Biologie studieren wollte, statt einen Handwerksberuf bei Krupp zu erlernen. Etwas besänftigt war er, als ich die Familientradition fortsetzte und als erste weibliche Auszubildende als Industriekaufmann im August 1976 begann.
Es war eine wirklich schöne Zeit: 14 Tage Übergangsschulung. in der Wevelsburg mit ca 140 angehenden Azubis, davon 14 Mädchen (Bürogehilfinnen, Technische Zeichnerinnen und Laborantinnen). Wir Mädchen wurden tatsächlich nachts auf unserem Flur eingesperrt, damit wir uns nicht zu den Jungs schleichen konnten. Selbst die Taschenlampen, mit denen wir uns durch die Fenster zugemorst haben, wurden uns abgenommen. Heute alles undenkbar, aber für uns damals völlig normal. Morgens um 7 stand Frühsport im Burghof auf dem Programm. Leider hat unsere „Aufpasserin“ häufig verschlafen und wir kamen dann natürlich nicht raus.
Im 3. Lehrjahr stand eine sozialpolitische Schulung auf dem Plan. Dort kamen dann nur die Industriekaufleute und Bürogehilfinnen zusammen. Schlafsaal der Jungs war unten, die Zimmer der Mädchen im 1. Stock. An der Tür nach oben saßen die Betreuer und passten wieder auf, dass niemand nach oben schlich. Später, bei unserer Lossprechung, erwähnte der Ausbildungsleiter, dass man die Feuerleiter an der Jungendherberge abgebaut hätte.
Die Ausbildung selber war entspannt: Blockunterricht in der Berufsschule, Werkunterricht 1x pro Woche im Ausbildungsgebäude mit einem Lehrer, der sehr gewöhnungsbedürftig war. Die Jungs hatten ganz schön unter ihm zu leiden. Mich, als einziges Mädchen hat er erst gar nicht ernst genommen und mich im Prinzip missachtet.
Die einzelnen Ausbildungsabteilungen waren recht unterschiedlich. In den Meisten bekam man als Azubi keine gescheiten Aufgaben, in manchen konnte man richtig gut mitarbeiten. Die 1. Abteilung war das Reserveteillager. Von dort musste ich tatsächlich 15 Minuten laufen, bis ich an der nächsten Damentoilette war
Nach der Ausbildung kam ich in die Abteilung „Entgeltfindung“. Wahnsinn…. Alles ohne EDV-Unterstützung. Für jeden Lohnempfänger gab es eine Karteikarte mit allen persönlichen Daten.
Bei Tariflohnerhöhungen musste jede einzelne Karte mit den neuesten Daten (mind. 5 Einträge pro Karte) handschriftlich geändert werden. Mein erster Chef dort war klasse, der Nachfolger war ein gestandener „Friemersheimer Grafschafter“ der Frauen am Arbeitsplatz außer in der Küche nicht mochte. Sein bester Spruch auf einen Verbesserungsvorschlag von mir: „Frl. Klewen, sie sind hier zum Arbeiten und nicht zum Denken!“
Das war der Zeitpunkt für mich in die EDV-Abteilung zu wechseln. Damals noch mit einer alten Siemens Anlage, Lochkarten, Bändern und irgendwas mit Gigabyte Speicherkapazität. Ich bin dabei geblieben, habe später noch Wirtschaftsinformatik studiert und arbeite heute noch bei HKM in der Informationstechnik.
Zu HKM musste ich im Zuge der Schließung von Krupp Rheinhausen 1990 wechseln. Eigentlich hatte ich noch Glück, dass es „nur Huckingen“ und nicht Bochum oder Dortmund war. Für mich war es besonders gut, da ich sofort auf eine reduzierte Stundenzahl gehen konnte, was mir mit einem kleinen Kind besonders lieb war. Bei Krupp wurden alle Halbtagsstellen irgendwann abgeschafft. Die Anfahrt kam mir allerdings wie eine Weltreise vor, nachdem ich alles in Rheinhausen mit dem Fahrrad erreichen konnte.
Obwohl ich nun viele Jahre mehr bei HKM arbeite (im August habe ich mein 45 jähriges Dienstjubiläum), als zuvor beim Hüttenwerk Krupp Rheinhausen, fühle ich mich immer noch nicht mit dem Werk verbunden. Auch wenn der Slogan „Wir bei HKM“ ein familiäres Zusammengehörigkeitsgefühlt suggerieren soll, so bleibt es, zumindest für mich, nur ein Stück Papier ohne Inhalt.
Da fällt mir noch eine kleine Anekdote ein:
Früher gab es für Männer, die geheiratet hatten ein Hausstandsgeld in Höhe von 7,50 DM/Mt. Ich habe dann einen Antrag gestellt, dass ich das auch haben möchte. Wurde abgelehnt und kurze Zeit später auch für die Männer abgeschafft. (das wollte ich allerdings nicht damit erreichen.)