Geschichtenretter Johannes Heinrichs
RHEIN-RUHR-MITTERNACHT
Musikvolle Dissonanzen der Pfeifentöne
im Intervall einer halben Sekunde
der Orgelpunkt summender Räder die Schöne
der Ruhrgebietmitternachtsstunde.
Bisweilen schleicht eine Limousine
das Pflaster scheint gelb vom Abblendlicht
einer mit Hut in der Führerkabine
ein Walzenbruch etwa Sonderschicht.
Jetzt wieder ein Hochofensamenerguss,
Paroxysmus der Himmelsröte
das ewige Abendrot dort am Fluss.
Vom starren Wald der Schlote dringt Getröte.
In hohem Stockwerk eine helle Kammer:
vielleicht nahm jemand die Bibel?
Und manchmal horch ein Rufen wie aus Jammer.
Hochrot am Horizont glänzt Homofabers Banner,
beschwichtigt flackernd die enfants terribles.
Johannes Heinrichs, 1960
geschrieben für eine Deutsch-AG am Städt. Naturw. Gymnasium Rheinhausen(später Krupp-Gymnasium)
Meine Eltern stammen beide aus Friemersheim – dem Stadtteil, der meines Erachtens am offensichtlichsten von Krupp geprägt war.
Beide Großväter waren bis zur Rente langjährige Angestellte bei Krupp: der Opa väterlicherseits als Malermeister (Anstreicher), der mütterlicherseits als Schlosser. Meine frühesten Erinnerungen beziehen sich auf Flucht in den Luftschutzbunker: der unterirdische gegenüber von Impelmann (Bergheim), unter dem heutigen Parkplatz. Die Erwachsenen erzählten, die Flugzeuge, die wir hörten, wollten die Krupp-Werke zerstören… Warum, verstand ich als Kind natürlich nicht, aber ich erfasste die angstvolle Atmosphäre im Bunker.
Mein Vater wurde allerdings nicht Kruppianer, sondern selbständiger Bäcker und zog schon vor dem Krieg nach Bergheim, wo wir eine bekannte Bäckerei hatten, die nach dem Krieg in den Wirtschaftswunderjahren aufblühte. Nur gelegentlich lieferten wir an die Lehrlingswerkstatt (hieß sie so?) von Krupp, regelmäßiger jedoch an die Zechen, Diergardt in Asterlagen und besonders Mevissen in Bergheim. Insofern war mein persönlicher Kontakt zu Krupp nur ein indirekter. Die Kundschaft unserer Bäckerei mit Lebensmittelgeschäft in Bergheim (Steinacker) bestand mehr aus Bergleuten als aus Kruppianern.
Doch eine Werksbesichtigung mit der Klasse vom Städt. Naturwissenschaftlichen Gymnasium (erst später Krupp-Gymnasium) hat mich tief beeindruckt: diese Form von industrieller Zusammenarbeit, bei der alle nach einem intelligenten Plan zusammen arbeiteten und weltweit gefragte Produkte hervorbrachten, faszinierte mich nachhaltig. Und wenn immer wir nach Friemersheim kamen, traten wir in die Krupp-Atmosphäre ein. Besonders beeindruckte mich der Kontrast von Natur in den Rheinauen und der Industriekulisse. Ich fand, das harmonierte.
Leider ist ein noch früheres, erstes Gedicht, das dort entstand, verloren gegangen.
Eine andere, tief verwurzelte Erinnerung an das Tor 1: vom dortigen Bahnhof Ost bin ich am 30. April 1962 in das Noviziat des Jesuitenordens abgefahren. Mein Vater brachte mich im Auto dorthin, und ein Klassenkamerad kam zum Abschied: Es wurde wirklich ein Abschied für immer von der einzigen Heimat. ich wusste es und wollte es, wenngleich unter Tränen und
wenngleich der Ordenseintritt vielleicht – menschlich gesprochen – ein Fehler war. Erst nach 2 Jahren kam ich erstmals kurz wieder, zur Beerdigung eines der kruppianischen Großväter. Doch seitdem war ich nur noch gelegentlicher Gast in meinem geliebten Rheinhausen.